• Humanoide Roboter als Co-Worker machen die Arbeit von Astronauten sicherer. Am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt werden derzeit verschiedene Szenarien erprobt.

    Heute ist ein großer Tag. Ein Tag, auf den man am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt lange hingearbeitet hat. In wenigen Minuten nimmt das Projektteam Kontakt zu Alexander Gerst auf der Internationalen Raumstation auf. Es ist eine besondere Stimmung, die an diesem Freitagnachmittag am Institut für Robotik und Mechatronik in Oberpfaffenhofen in der Luft liegt. Eine Mischung aus Anspannung, Konzentration und Vorfreude. Ein Dutzend Kameras sind auf Rollin‘ Justin gerichtet. Der humanoide Roboter soll gleich Reparaturen sowie Installationen von Hardware durchführen. Dabei wird er gesteuert vom Astronauten aus dem Orbit. Das Astronauten-Roboter-Team muss ein bisher ungekanntes Level an Fähigkeiten demonstrieren. Zwei Stunden und eine Reihe an komplexen, telerobotischen Aufgaben später bricht Freude aus, die in anhaltendem Applaus mündet. Das Experiment ist geglückt. Dem Projektteam steht die Erleichterung ins Gesicht geschrieben, die Beteiligten fallen sich inmitten der nachgebildeten Marslandschaft in die Arme. Unter ihnen: Adrian Bauer, Systemverantwortlicher von Rollin‘ Justin. 

    Gut fünf Jahre später ist das Projekt „METERON SUPVIS 
    Justin“ in eine Experimentreihe namens „Surface Avatar“ übergegangen. Die Mission ist noch dieselbe. 

Herr Bauer, was sind die Forschungsziele der Weltraumrobotik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt? 

Die Grundfrage ist: Wie können wir die Arbeit von Astronauten sicherer, effizienter und nachhaltiger machen? Wir möchten unsere Kolleginnen und Kollegen im All befähigen, ihre Aufgaben mithilfe von robotischen Assistenten auszuführen. Gleichzeitig möchten wir ihnen neue Fähigkeiten verleihen. Genau hier setzt die Weltraumrobotik an. Grundsätzlich ist damit jedes robotische System gemeint, das im Weltall im Einsatz ist. Ziel des Experiments mit Alexander Gerst war es etwa, zu zeigen, dass wir Roboter als Co-Worker auf dem Mond oder weiter entfernten Himmelskörpern – in diesem Falle dem Mars – einsetzen können. Unsere Vision ist es, dass unsere Technologie dazu beiträgt, die erste Weltraumkolonie oder das erste Weltraumhabitat zu errichten. 

Wieso begeben sich die Astronauten nicht selbst auf die Planetenoberfläche? 

Jeder Einsatz außerhalb der geschützten Umgebung ist für die Astronauten mit einem Risiko verbunden. Vorfälle wie der misslungene Außeneinsatz von Luca Parmitano auf der ISS könnten durch den Einsatz von Weltraumrobotik vermieden werden. Dem italienischen Astronauten lief Kühlflüssigkeit in seinen Helm. Was auf der Erde ein mittelgroßes Problem gewesen wäre, wurde da oben auf der ISS eine lebensgefährliche Situation. Wir möchten Roboter für Tätigkeiten einsetzen, die stupide oder gefährlich sind oder in widrigen Verhältnissen stattfinden.  

Welche Aufgaben sind das? 

Neben der Exploration, also der Planetenerkundung, sind das vor allem vorbereitende und überwachende Aufgaben. Um das mit einem Beispiel zu veranschaulichen: Bevor der erste Mensch einen Fuß auf den Mars setzt, müssen wir dort eine Infrastruktur aufbauen. Kommunikation, Energieversorgung, ein Habitat und vielleicht sogar eine Startrampe für das Gefährt, womit man dann wieder abhebt … Hierzu müssen Teile herangeschafft, ausgepackt, aufgebaut und arrangiert werden. Wichtig sind auch Wartungs- und Instandhaltungsaufgaben. Beispielsweise soll der Roboter ein Solarpanel neu ausrichten oder nach einem Sturm vom Sand befreien. Der Vorstellungskraft sind da keine Grenzen gesetzt. 

Wie läuft der Einsatz von Weltraumrobotern ab? 

In den meisten Fällen ist die Steuerung mit einer großen räumlichen Distanz verbunden. Die größte Herausforderung  bei dieser Teleoperation ist eine Zeitverzögerung zwischen dem Moment, in dem der Astronaut den Befehl gibt, und dem Moment, in dem der Roboter diesen dann ausführt. 
Robotik als helfende Hand im All(tag) „SMiLE“ ist ein Forschungsprojekt, das nicht nur Astronauten im All, sondern auch pflegebedürftige Menschen im Alltag unterstützt.
Der Astronaut muss also im Orbit des Planeten kreisen, auf dessen Oberfläche sich der Roboter befindet. Von dort aus steuert er seine Geschicke. Auch aus dem Orbiter haben wir meist mit zwei bis drei Sekunden Zeitverzögerung zu kämpfen.
In Zahlen bedeutet das? 

Das Signal, welches wir senden, kann sich nicht schneller als Lichtgeschwindigkeit fortbewegen. Es ist eine elektromagnetische Welle. Zudem kommt es in unserem Beispiel auch darauf an, wie Erde und Mars zueinander stehen. In der entferntesten Konstellation braucht ein Signal ungefähr 22 Minuten von der Erde zum Mars. Anschließend führt der Roboter den Befehl aus und schickt das Ergebnis zurück. Auf der Erde vergehen somit mindestens 44 Minuten zwischen „Ich gebe ein Kommando“ und „Ich sehe das Ergebnis“. 
Der Astronaut muss also im Orbit des Planeten kreisen, auf dessen Oberfläche sich der Roboter befindet. Von dort aus steuert er seine Geschicke. Auch aus dem Orbiter haben wir meist mit zwei bis drei Sekunden Zeitverzögerung zu kämpfen. Deshalb entwickeln wir in der Regelungstechnik Methoden, um trotzdem direktes Teleoperieren zu ermöglichen. Gleichzeitig fragen wir uns, wie sich die Interaktion zwischen den Astronauten und den Robotern möglichst intuitiv gestalten lässt.
 
Dafür ist bestimmt eine ausgeklügelte Technik nötig? 

Der Schlüssel liegt in einer multimodalen Benutzerschnittstelle. Neben der direkten Teleoperation anhand eines Joysticks geht es in unseren Experimenten vorrangig um das teilautonome Ausführen von Aufgaben. Das Hauptmodul der Steuerung ist ein Laptop, auf dem ein Programm läuft. Auf diesem sieht man das Kamerabild, welches der Roboter aufnimmt. Man sieht die Welt – den Mars, den Mond, etc. – aus der Perspektive des Roboters. In dieses eingezeichnet sind Objekte, die der Roboter erkennt und mit welchen er interagieren kann. Dabei trifft die hierzu eingesetzte Künstliche Intelligenz eine sinnvolle Vorauswahl. Dann klickt man auf ein Objekt und bekommt eine Liste mit Aktionen angezeigt, die man damit ausführen kann. Davon wählt man eine und der Roboter führt diese schließlich autonom aus. Das Ganze nennt sich „Supervised Autonomy“ und erinnert ein bisschen an Videospiele aus den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren. 


Wird diese Applikation auch bei der nächsten Mars-Mission eingesetzt? 

Gut möglich! Der Best Case ist immer dann erreicht, wenn die eigene Forschung zur Anwendung gebracht wird. Darauf arbeiten wir am Institut tagtäglich hin. Mitte 2024 werden wir voraussichtlich die aktuelle Experimentreihe abschließen. Schon heute sind die ersten robotischen Systeme auf dem Mars unterwegs und sammeln Proben. Zum Beispiel der 2021 auf dem Mars gelandete Rover „Perseverance“. Die Samples müssen nun zurück auf die Erde gebracht und geöffnet werden. Dafür zieht die NASA momentan ein echtes Hochsicherheitslabor auf. Zum einen, weil man nicht will, dass die Proben unsere Erde kontaminieren. Zum anderen, um die Proben nicht zu verunreinigen oder zu beschädigen. Da die Kapseln deshalb auch sehr gut verschlossen wurden, könnte Letzteres ein Problem werden. Auch das ist Forschung – manchmal weiß man nicht, was morgen ist (lacht). 

Sie haben Ihre Laufbahn in der Industrie begonnen und relativ früh den Weg in die Wissenschaft eingeschlagen. Was war Ihre Motivation? 

Es ist schwierig zu sagen, ob ich diese Entscheidung bewusst getroffen habe. Roboter und Hightech haben mich schon von klein auf begeistert. Die Ausbildung bei einem Unternehmen für Automatisierung und Robotik war also genau mein Ding. Was mich aber gleichermaßen gefesselt hat, war die Informationstechnik dahinter. Wie trifft ein Roboter Entscheidungen? Wofür kann die Technologie noch eingesetzt werden? Ein Antrieb war und ist auf jeden Fall diese Neugier, die einem Forscher niemals verloren gehen darf. Hinzu kommt, dass ich eher faul bin (lacht). Im Sinne von: Ich wäre nicht abgeneigt davon, wenn Roboter uns viel mehr abnehmen, vor allem im Alltag. Zugegeben, sollte ich mich in absehbarer Zeit nicht mehr so viel um den Haushalt kümmern müssen, ist das für mich Motivation genug. Spaß beiseite, alles in allem habe ich vielmehr die Chance ergriffen, an einem Ort zu arbeiten, der mich schon immer fasziniert hat. Um dort die Grenzen der Technik auszuloten – nicht nur im Dienste der Wissenschaft, sondern auch der Menschheit.  

Dienen Ihre Forschungsarbeiten somit auch einem höheren Sinn? 

Das kann man so sagen, ja. Für uns ist es elementar, dass wir Ideen und Erkenntnisse aus dem All immer wieder zurück auf die Erde holen. So entstand beispielweise das Forschungsprojekt „SMiLE“. Hier geht es darum, körperlich eingeschränkte Menschen in verschiedenen Lebenssituationen durch Robotik zu unterstützen. Verglichen mit der Raumfahrt haben wir im Pflegekontext sehr ähnliche Herausforderungen. Das User Interface muss sehr intuitiv sein. So intuitiv, dass es auch ältere, pflegebedürftige Menschen bedienen können. Erst dann wird ein Roboter zur echten Hilfe – im All wie im Alltag.

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