• Alles begann mit dem Salzstreuer. Der österreichisch-ungarische Botaniker und Kulturphilosoph Raoul Heinrich Francé suchte nach einer Möglichkeit, in einer Versuchsanordnung Kleinstlebewesen auf einer Bodenfläche gleichmäßig zu verteilen. Dabei stieß der Naturbeobachter auf die Mohnblume. Deren Kapsel besitzt in kreisrunder Anordnung kleine Löcher, über welche die Samen auf dem Boden so verteilt werden, dass sie genügend Licht abbekommen und neue Pflanzen wachsen können. 1919 reichte Francé das Gebrauchsmuster „723730“ beim Deutschen Patentamt ein. Der „Streuer für Gewürze, Medikamente und dergleichen“ gilt seither als die erste deutsche bionische Erfindung, die ein Patent erhielt.

Ein Meilenstein der Bionik, der Wissenschaft von biologischen Prinzipien, die technisch umgesetzt werden. Gleichzeitig der Startschuss für eine Rückbesinnung auf Patentlösungen der Natur, die im Laufe der Evolution entstanden und teilweise über Millionen Jahre erprobt wurden. Oder, wie es der Zoologe Werner Nachtigall, hierzulande einer der Begründer der Bionik, ausdrückte: „Lernen von der Natur für eigenständiges ingenieurmäßiges Gestalten“. Plakative Beispiele für die Umsetzung gibt es seit dem Salzstreuer viele. Etwa den Klettverschluss, der das Prinzip der Kletten aufnimmt, deren Blüten an vorbeistreifenden Menschen und Tieren hängen bleiben. Das gelingt über winzige Widerhaken und Schlaufen, die sich miteinander verhaken und verbinden. Eine noch verblüffendere Wirkung erzielt der Gecko, der mit seinen rutschfesten Füßen sogar auf Glasscheiben und kopfüber an der Decke Halt findet, was das Reptil über Millionen feiner und verzweigter Härchen bewerkstelligt. Materialforscher entwickelten auf dieser Grundlage Klebeband, das schon auf kleinster Fläche ein Gewicht von mehr als 300 Kilogramm halten kann. Um möglichst wenig Widerstand geht es dagegen bei modernen Schwimmanzügen, die nach Vorbild der Haut von Haien geschaffen wurden, damit Sportler mit minimaler Reibung möglichst schnell durchs Wasser gleiten können. Um Materialien wiederum geht es auch beim Lotuseffekt. Die Indische Lotusblume gilt im Buddhismus als Symbol der Reinheit. Nicht nur, weil sie so herrlich erfrischend und vollkommen daherkommt, sondern vor allem, weil sie zwar in sumpfigen und schlammigen Gewässern wächst, ihre Blätter sich aber komplett eigenständig säubern. Der Selbstreinigungseffekt beruht auf wasserabweisendem Wachsmaterial. Die Idee dient heute für die Entwicklung von Scheiben, an denen der Dreck abperlt, für Fassadenfarbe, die Hauswände sauber hält oder Flugzeugoberflächen, die nicht mehr verschmutzen.
"Lernen von der Natur für eigenständiges ingenieurmäßiges Gestalten"
Werner Nachtigall
Diese Anwendungen sind anschaulich, sie stehen aber nur für den Anfang einer Entwicklung und für einen im Laufe der Jahrzehnte vollzogenen Paradigmenwechsel. Für unser verändertes Verhältnis zwischen Natur und Technik – die beide lange als Gegensätze und Widersacher wahrgenommen wurden. Denn die Natur galt dem Menschen einst als gefährlich und bedrohlich, weshalb er sich vor ihr schützen und sie sich Untertan machen wollte, sie daher gezähmt und kultiviert hat. Später, infolge von Industrialisierung und Moderne, stand die Zivilisation der Natur zwar weniger abweisend gegenüber, dafür in vieler Hinsicht gleichgültig. Raubbau und maßloser Rohstoffverbrauch wurden wie selbstverständlich hingenommen. Inzwischen ist ein Wandel vollzogen: Die Ausbeutung der Erde wird öffentlichen geächtet, Natur und Technik sollen Hand in Hand gehen, Leben und Umwelt gestalten. Die Bionik ist dafür ein herausragendes Feld. Sie entwickelt ungeahnte Möglichkeiten in den Bereichen des Tastens, des Greifens, der Orientierung, des Antriebs und auch des Lernens, wovon nicht zuletzt die Robotik profitiert.
US-Forscher entwickelten beispielsweise einen Roboter in Anlehnung an den Kolibri. Kolibris sind die einzigen Vögel, die rückwärts fliegen, sie haben im Verhältnis zum Körpergewicht das größte Gehirn und sind mit bis zu 80 Flügelschlägen pro Sekunde faszinierende Luft-Akrobaten. Der bionische Roboter wiegt mit vier Gramm zwar mehr als der lebende Vogel, seine Flügel fungieren jedoch als Sensoren – wodurch er Wände, Böden und Wind wahrnehmen und die Umgebung erkunden kann. Als nahezu unkaputtbar gilt der Käfer der Art „Phloeodes diabolicus“. Er wird zwar nur zwei Zentimeter lang, sein Exoskelett beginnt aber erst ab einer Belastung von 15 Kilogramm zu brechen. Seine Struktur könnte Ingenieuren künftig als Vorbild für leichtere und stabilere Werkstoffe dienen, etwa im Flugzeugbau. Zur Orientierung auf der Erde nutzen viele Lebewesen das Sonnenlicht. Insekten verwerten indes noch eine weitere, dem Menschen unzugängliche Quelle – polarisiertes Licht –, das aufgrund bestimmter Muster die Stellung der Sonne und der Gestirne verrät. Die Ameise „Cataglyphis“ findet auf diese Weise nach Beutezügen zurück in ihr Nest, und das mitten in der Wüste. Forscher der Universität Zürich konstruierten mit diesem Wissen einen Roboter, der mithilfe polarisierten Lichts bereits Ende der 90er-Jahre zurück zu seiner Basis fand. Heute wird eine ähnliche Technik bei Marsrobotern eingesetzt.
"Als ob Kunst nicht auch Natur wäre und Natur Kunst!"
Christian Morgenstern
Die Anzahl der auf Bionik beruhenden Erfindungen hat in den vergangenen Jahrzehnten rasant zugenommen, genauso wie der Transfer von Forschung auf die industrielle Anwendung. Mit Enthusiasmus und Kreativität entwickeln Forscher neue Generationen intelligenter Roboter mit künstlichen Sinnesorganen. Deren Arme, den der Tentakel eines Oktopus nachempfunden sind oder das Feingefühl einer menschlichen Hand adaptieren. Die Kraft, Geschicklichkeit, Präzision und Feinmotorik auf nie dagewesene Weise miteinander verbinden. Und nicht zuletzt die Fähigkeit besitzen, sich autonom weiterzuentwickeln. So sind im Rahmen der Künstlichen Intelligenz die Mechanismen des Lernens bei Mensch und Maschine vergleichbar. Dabei bekommt der Roboter anstatt einer konkreten Handlungsanweisung ein Ziel vorgegeben, das er über Prüfen und Probieren, über Versuch und Fehler, erreichen soll. Jeder Fehler und jeder Erfolg wird dem System zurückgemeldet, bis die gesammelte Erfahrung schließlich zum gewünschten Ziel führt und der Roboter mehr kann und mehr weiß als zuvor. Genauso macht es der Mensch.
Somit faszinieren und erstaunen die Möglichkeiten der Bionik, von der längst aber nicht allein die Technik profitiert, sondern umgekehrt auch Umwelt und Klimaschutz. Über das Filtern von Mikroplastik, über energieschonenden Leichtbau bei Windkraft und E-Mobilität oder dem enormen Potenzial der solaren Wasserstofftechnologie nach dem Vorbild grüner Pflanzen. Auf die Frage, was Bionik letztlich leisten kann, sagte Pionier Werner Nachtigall daher schon früh: „Die zukünftigen Querverbindungen zwischen natürlicher und technischer Umwelt müssen systemrelevant sein.“ Sie müssten in einer Biostrategie münden, „die Natur und Technik zu einem unentwirrbaren Neuen verzahnt, einem großen Ganzen, das natürliche und technische Umwelt gleichwertig umfasst“. Und von der Mensch und Natur gleichermaßen profitieren.

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